Die Geschichte der Historiographie, also die Geschichte der Geschichtsschreibung selbst, ist eine facettenreiche und komplexe Entwicklung, die sich über mehrere Jahrtausende erstreckt.
Hier ist ein Überblick über die wichtigsten Epochen und Entwicklungen:

—Antike

Frühe Zivilisationen
Mesopotamien und Ägypten: Frühe Formen der Geschichtsschreibung finden sich in den Annalen und Königlisten der Sumerer und Babylonier sowie in den Chroniken und Tempelinschriften der alten Ägypter.
Ziel: Diese Aufzeichnungen dienten hauptsächlich administrativen und religiösen Zwecken und waren oft propagandistisch.

Griechenland

Herodot (ca. 484-425 v. Chr.): Oft als „Vater der Geschichte“ bezeichnet, schrieb „Historien“, die eine Sammlung von Geschichten und Berichten über die bekannten Welt und die Perserkriege sind.
Thukydides (ca. 460-400 v. Chr.): Schrieb „Geschichte des Peloponnesischen Krieges“ und legte dabei Wert auf kritische Analyse und Augenzeugenberichte.

Rom

Livius (59 v. Chr. – 17 n. Chr.): Schrieb „Ab urbe condita“, eine Geschichte Roms von der Gründung bis zur augusteischen Zeit.
Tacitus (ca. 56-120 n. Chr.): Bekannte Werke sind „Annalen“ und „Historien“, die eine scharfe Kritik an der römischen Politik und Gesellschaft enthalten.

Mittelalter

Christliche Geschichtsschreibung
Eusebius von Caesarea (ca. 260-340 n. Chr.): Schrieb die „Kirchengeschichte“, eine wichtige Quelle für die Frühgeschichte des Christentums.
Augustinus von Hippo (354-430): Sein Werk „De Civitate Dei“ (Über den Gottesstaat) verband christliche Theologie mit Geschichtsschreibung.

Islamische Geschichtsschreibung

Ibn Khaldun (1332-1406): Bekannt für das Werk „Muqaddimah“, in dem er eine soziologische und ökonomische Theorie der Geschichte entwickelte.

Renaissance und Frühe Neuzeit

Humanistische Geschichtsschreibung
Francesco Petrarca (1304-1374): Gilt als einer der Begründer des Humanismus und beeinflusste die Rückbesinnung auf klassische römische und griechische Texte.
Lorenzo Valla (1407-1457): Verwendete philologische Methoden, um historische Texte kritisch zu analysieren, z.B. entlarvte er die „Konstantinische Schenkung“ als Fälschung.

Aufklärung

Voltaire (1694-1778): Schrieb „Essai sur les mœurs et l’esprit des nations“, eine Geschichte, die sich auf kulturelle und gesellschaftliche Entwicklungen konzentrierte.
Edward Gibbon (1737-1794): Sein Werk „The History of the Decline and Fall of the Roman Empire“ ist bekannt für seinen kritischen Ansatz und stilistischen Brillanz.

19. Jahrhundert

Wissenschaftliche Geschichtsschreibung
Leopold von Ranke (1795-1886): Begründer der modernen wissenschaftlichen Geschichtsschreibung, betonte die Bedeutung der Quellenkritik und das Prinzip „wie es eigentlich gewesen ist“.
Karl Marx (1818-1883): Entwickelte eine materialistische Geschichtsauffassung, die sich auf wirtschaftliche und soziale Faktoren konzentrierte.

Nationalgeschichtsschreibung
Geschichtsschreibung wurde oft zur Förderung nationaler Identitäten und Ideologien genutzt, wie in den Werken von Jules Michelet in Frankreich oder Heinrich von Treitschke in Deutschland.

20. Jahrhundert und Moderne

Annales-Schule
Marc Bloch und Lucien Febvre: Begründer der Annales-Schule, die sich auf Langzeitperspektiven und interdisziplinäre Ansätze konzentrierte.
Fernand Braudel: Bekannt für seine „drei Zeitebenen“ der Geschichte (Ereignisgeschichte, Konjunkturgeschichte, Strukturen der langen Dauer).

Postmoderne und Kulturgeschichte

Historiker wie Michel Foucault und Jacques Derrida hinterfragten traditionelle narrative Strukturen und betonten die Rolle von Diskursen und Machtverhältnissen in der Geschichte.
Gender History und Subaltern Studies: Neue Ansätze, die die Geschichte aus der Perspektive bisher marginalisierter Gruppen erforschen.

Fazit

Die Historiographie—Geschichte zeigt eine kontinuierliche Entwicklung und Diversifizierung der Methoden und Perspektiven.
Von den frühen annalistischen Aufzeichnungen über die kritischen und analytischen Ansätze der Antike und der Moderne bis hin zu den
interdisziplinären und dekonstruktivistischen Methoden des 20. Jahrhunderts und darüber hinaus,
ist die Historiographie ein Spiegelbild der sich verändernden Bewußtseins von der vergangenen Geschichte